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Sogenannte Hillbillys – meist ungebildete, weiße Amerikaner aus postindustriellen dörflichen Gegenden – gehörten statistisch gesehen genau der Wählerschicht an, die dem Populisten Trump letzten November ihre Stimme gab. Als fünf Monate vorher in den USA das Buch Hillbilly Elegy erschien, landete es sofort auf der New York Times-Bestsellerliste und wurde als das Buch der Stunde etikettiert .
Der 1984 geborene Autor Vance entstammt selbst einer typischen Hillbilly-Familie und wächst in Jackson (Kentucky) auf, zwischen brachliegenden Kohlewerksanlagen, Fastfoodketten und heruntergekommenen Bauernhäuschen. Seine Großeltern kümmern sich sehr um Vance, da sein Vater die Familie verlässt als er sechs ist und das Leben seiner Mutter immer stärker von ihrer Drogensucht diktiert wird.

Teilweise traut er sich nicht nach Hause, weil seine Mutter mit den ständig wechselnden Männern heftige teilweise gewalttätige Streitereien hat und er lediglich bei seiner Großmutter ein wenig Stabilität findet. Wenn es besonders schlimm ist, oder sich die Mutter mal wieder auf Entzug befindet, wohnt Vance ganz bei den Großeltern. Ihnen und zwei engagierten Lehrern kann er es schließlich verdanken, dass er sich entschließt zu studieren und er wird (um den amerikanischen Traum noch zu vervollständigen) in Yale angenommen.
Letztendlich kann er dem Kreislauf von Armut, Unbildung und Drogenabhängigkeit entfliehen; aber er ist sich bewusst, dass er eine Ausnahme darstellt. Denn nirgendwo in den Staaten sind die Menschen hoffnungsloser als bei den Hillbillys. Aufstiegschancen gibt es kaum, viele verschulden sich früh, Kinder haben mit fünf schon keine Zähne mehr, weil die Erwachsenen ihnen Cola zu trinken geben und nicht das Geld für einen Zahnarzt aufbringen können.Wenn die Erwachsenen Arbeit haben, führen sie diese schlecht aus, um nach einen Rauswurf die ehemalige Obama-Regierung für ihr Unglück verantwortlich zu machen.


Wenn man sich nun allerdings einen Geläuterten vorstellt, der auf staatlichen Maßnahmen hofft, um beispielsweise die Gesundheits- und Bildungsmisere einzudämmen, der liegt hier falsch. Vance glaubt nicht an den Wohlfahrtsstaat, er hält staatliche Hilfsangebote teilweise für kontraproduktiv und sieht das Problem bei den Menschen selbst. Hillbillys – so seine Schlussfolgerung – seien so daran gewöhnt Politiker und das „Etablissement in Washington“ für ihre Probleme verantwortlich zu machen, dass sie es verlernt haben die Folgen ihres eigenen Handelns abzuschätzen und sich in Selbstkritik zu üben. Nun ja, hier spricht ein waschechter Republikaner, der an der absurden Idee festhält, dass der neoliberale Markt sich selbst heilt.
Das Buch ist nicht nur lesenswert, weil Vance immer wieder gesellschaftlich zwischen den Stühlen steht, sondern auch, weil er mit großer Empathie seine eigene Schicht beschreibt und erklärt. Er bemüht sich eben nicht um hingebogene Antworten hinsichtlich der Frage nach Verantwortung wie die US-amerikanische Linke.

J.D. Vance: Hillbilly Elegie. Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise, Ullstein 2017, 22 €, 304 S.

Das französische Pendant zu Hillbilly Elegie ist übrigens das 2016 in deutsch erschienene Rückkehr nach Reims, in dem der Autor Didier Eribon seine Herkunft soziologisch durchleuchtet und der Frage nachgeht, warum die ehemals links gerichtete französische Arbeiterschicht immer rechter wird.


Didier Eribon: Rückkehr nach Reims, Suhrkamp 2016, 240 S., 18€.

Obwohl Rückkehr nach Reims äußerst lesenswert ist, schimmert immer wieder leicht die Selbstgerechtigkeit der linken Elite auf. Vance bringt diese Selbstgerechtigkeit (die wahrscheinlich auch für Trumps Sieg verantwortlich ist) folgend in einem Interview auf den Punkt:

The first is that humans appear to have some need to look down on someone; there’s just a basic tribalistic impulse in all of us. And if you’re an elite white professional, working class whites are an easy target: you don’t have to feel guilty for being a racist or a xenophobe. By looking down on the hillbilly, you can get that high of self-righteousness and superiority without violating any of the moral norms of your own tribe. So your own prejudice is never revealed for what it is.
Nachzulesen in: http://www.theamericanconservative.com/dreher/trump-us-politics-poor-whites/

Wer sich dem Charme der Hillbillys noch literarisch annähern möchte:


William Faulkner (1929): Schall und Wahn, Rowohlt 2015, 384 S., 10,99 €.
Tom Cooper: Das zerstörte Leben des Wes Trench, Ullstein 2017, 384 S., 12 €.
Donald Ray Pollock: Knockemstiff, Heyne 2015, 256 S., 9,99 €.

Laura Rupp