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Genau genommen verwirrt der Titel „Die ersten Tage von Berlin. Der Sound der Wende“ ein wenig, da man, wenn man ein Sachbuch in die Hand nimmt, das die Wörter Sound und Berlin beinhaltet, wahrscheinlich eher ein Panoptikum erwarten würde. Wie war es eigentlich damals im Prenzlauer Berg, in Kreuzberg und in Mitte kurz nach der Wende? Was hat man damals (nun endlich vereint) eigentlich gehört?

Das Buch gibt darauf keine Antwort, weil es dafür zu biographisch geprägt ist. Der Journalist Ulrich Gutmair erzählt vielmehr von einem (Techno-)Sound Anfang der 90er Jahre und von einer anarchischen Aufbruchstimmung vornehmlich im Prenzlauer Berg und im Tacheles. In dem freiheitlichen Chaos treffen immer mehr internationale Künstler ein, die mietfrei und vor allem polizeilich unbeachtet in leerstehenden ostberliner Wohnungen ihr Quartier aufschlagen.

Wir befinden uns plötzlich in baufälligen besetzten Ruinen, die (kurz nach der Wende) kurzerhand in provisorische Clubs umfunktionalisiert werden. Es wird getanzt bis zum morgen, das Bier ist billig oder umsonst und Photos dürfen natürlich nicht gemacht werden, denn man lebt im hier und jetzt.

Es [das Fotografieren] verbietet sich, weil man nicht gleichzeitig beobachten und teilnehmen kann. Wer mit einer Kamera in einem Club herumläuft, steht dem eigenen Erleben wie ein Tourist gegenüber. Wer eine Linse zwischen sich und die Welt schaltet, misstraut seiner Erfahrung. […] Die Partys in Mitte waren vielleicht die letzte Gelegenheit etwas zu erleben, das nicht schon im selben Moment ins Netz eingespeist, registriert und an den korrekten Ort in der Zeitleiste abgelegt wird.“

Gerade das Fehlen jeglicher Dokumentation dieser Zeit hat Gutmair zu diesem Buch veranlasst , denn „das Berlin der Jahre nach dem Mauerfall [...] ist [verschwunden], ohne viele Spuren zu hinterlassen. Die meisten Orte, an denen das alte Berlin noch präsent war und ein neues Berlin seine ersten Tage und Nächte erlebt hat, sind nicht mehr da.“

Es ist das prädigitale anarchische Lebensgefühl eines längst verschwundenen Berlins, das Gutmairs Buch lesenswert macht, vor allem weil es das kulturelle Leben der Stadt bis heute prägt.

Laura Rupp

Ulrich Gutmair: Die ersten Tage von Berlin. Der Sound der Wende, Ullstein 2015, 256 S., 9,99€.